„Nicht betteln, nicht bitten,
nur mutig gestritten”
Ein Erinnerungsbeitrag von Gregor Falkenhain:
Wie kommt der Knecht zu seinem Recht?
Er muss drum kämpfen. Rechte bekommt man nicht geschenkt, „nicht von Gott, nicht vom Kaiser nicht vom Tribun“, so wie es in der „INTERNATIONALE“ heißt: Es rettet uns kein höheres Wesen – Das „müssen wir schon selber tun“.
Das hat Udo Achten sein Leben lang begleitet; als Jugendvertreter in der Papierfabrik als auch in seinen eigenen Lernprozessen (Heimvolkshochschule Hustedt/bei Abendroth und Peter Römer in Marburg). Recht und Freiheit hat Udo in seiner Bildungsarbeit immer wieder thematisiert und in seinen Büchern vielfach und vielseitig bearbeitet, bis hin zu seinen individuellen Kämpfen mit den staatlichen Institutionen, der Steuerverwaltung, Sozialversicherung und auch der Polizei, z. B. wenn es um die Reichweite der Parkerlaubnis aufgrund seines Behindertenausweises ging.
Dass jeder die gleichen Rechte hat ist eine Mär. Bevor es zum deutschen Arbeitsrecht kam bedurfte es umfassender Arbeitskämpfe der Arbeiterbewegung. Selbst ihre Organisationen mussten die abhängig Beschäftigten sich erkämpfen. Nichts kommt von nichts. Nichts wird zu nichts. Nichts bleibt so, wie es war, das ist das wahre Geschichtsgesetz.
Die eigenen Interessen erkennen, sich solidarisieren und kämpfen sind Voraussetzungen für menschliche Würde, die zugleich Freiheit von Ausbeutung sein soll. Tarifverträge kommen nicht von allein, sie mussten in vielen Streiks – anfangs gar unter Verbotsbedingungen – erstritten werden.
Auch die Einschränkung des Direktions- und Weisungsrechts durch betriebsrätliche Mitbestimmung in Betrieben musste erkämpft werden. Kapital und Kabinett geben freiwillig keine Einflussmöglichkeiten auf. Wer die herrschende Ordnung verändern will muss aufrecht gehen und Widerstand leisten und – wie die Geschichte zeigt – den Klassenkampf wagen. Diese Erkenntnisse hat Udo Achten auch in zahlreichen Plakatausstellungen veröffentlicht. Zusammengefasst in der Resolution der Kommunarden heißt es so:
„In Erwägung unserer Schwäche machtet ihr Gesetze, die uns knechten soll’n- die Gesetze seien künftig nicht beachtet – in Erwägung, dass wir nicht mehr Knecht sein woll’n.“
Selbstbewusst Gegenhalten
Man muss wissen, für welche Freiheit und für welches Recht man kämpft und auf welcher Seite der Freiheit man steht. „Es kämpft sich nicht schlecht…“ hört sich so einfach an. „Vorwärts und nicht vergessen, worin unsere Stärke besteht….“.heißt es im Solidaritätslied. Denn schon Stillstand ist Rückschritt und man muss aufpassen, nicht auch noch rückwärts zu gehen und ins Stolpern zu geraten.
Denn: Wer kämpft, kann verlieren. Wer nicht kämpft, hat schon verloren! Bertolt Brecht brachte es genau auf den Punkt. Die eigenen Interessen erkennen, sich weiterbilden, sich organisieren, sich einmischen und selbstbewusst sein, wie der Betriebsratsvorsitzende der Zeche Hibernia, der in einer Sitzung mit den Herren der Geschäftsleitung feststellt: “Ich bin von 4 000 gewählt. Wer hat Sie gewählt?“
„Wer das Gesetz immer mit beiden Händen hält, hat keine Hand zum Kämpfen mehr frei. Manchmal braucht man dazu sogar beide Hände. Das schließt nicht aus, dass man das Gesetz auch mal mit beiden Händen ergreifen muss, um es dem Gegner um die Ohren zu hauen. Wer jedoch meint, Schutzparagrafen für Beschäftigte würden schon durch ihr Vorhandensein helfen, vergisst, dass jedes Schutzschild durch starke Hände gehalten werden muss, wenn es wirksam sein soll.“ So zitiert Udo Achten aus dem „Zeitgeist“, dem Bildungsorgan des Metallarbeiterverbandes.
Gleiches Recht für alle – vor dem Gesetz sind alle gleich / Norm und Wirklichkeit im Rechtsstaat
Anatol France (1894): „Die majestätische Gleichheit der Gesetze verbietet es Reichen und Armen unter Brücken zu schlafen“.
Das Gleichheitsprinzip des bürgerlichen Rechts lenkt von der Ungleichheit ab. Die Reichen haben Villa, Schlafzimmer und Dienerschaft. Die Armen haben wenig bis nichts. Sie können auf den Schutz unter der Brücke angewiesen sein. Die soziale Ungleichheit ist dem Gesetz und seinen Hütern gleich.
Sehr passend dazu zitierte Udo gerne auch Gerhard Branster („Der Esel als Amtmann“) (2016):
Ein Hammel trat vor den Tiger und beschwerte sich darüber, dass es bei den Wölfen „ungestraft erlaubt sei, die Schafe zu fressen“. „Euch soll Gerechtigkeit werden“, sprach der Tiger. Und er erließ ein Gesetz, das den Schafen erlaubte, die Wölfe ungestraft zu fressen. Da freute sich der Hammel und rief: „Jetzt haben wir den absoluten Rechtsstaat“. „Das wurde auch Zeit“, meinte der Tiger, „die Wölfe haben sich schon lange genug darüber geärgert, dass man ihnen vorwerfen konnte, sie seien vom Gesetz bevorteilt“.
Demokratie, Recht und Menschenwürde darf am Betriebstor nicht enden
„Es ist ganz einfach die, dass die Freiheit des Menschen außerhalb seines Arbeitslebens nicht ausreicht, solange der Mensch innerhalb seines Arbeitslebens der Herrschaft anderer unterworfen ist. Die Demokratisierung des öffentlichen Lebens, das freie Wahl-, Versammlungs-, Rede- und Presserecht bedarf der Ergänzung durch die Demokratisierung der Wirtschaft, durch Mitbestimmung der arbeitenden Menschen über die Verwendung ihrer Arbeitskraft und der von ihnen geschaffenen Werte.“ Otto Brenner zur Idee der Mitbestimmung.
Sprache, die verschleiert und verfälscht
Mit der größten Selbstverständlichkeit wird von „Arbeitgebern – Arbeitnehmern“ gesprochen. Niemand stellt in Frage, dass Begriffe die wirklichen Verhältnisse verschleiern und geradezu auf den Kopf stellen. Getreu des Mottos „Geben ist seliger ist als Nehmen“ wird Herrschaft legitimiert und Ausbeutung verschleiert. Der Arbeiter gibt seine Arbeitskraft, mehr hat er nicht. Der Kapitalist nimmt sie sich, oder auch nicht.
Udo hat auf Seminaren gerne ein Fünfmarkstück auf den Tisch gelegt, um öffentlich zu demonstrieren, wie Geld arbeitet. Jeder konnte sich den Mehrwert einstecken, den das Kapital während der Seminarzeit erarbeitet hat. Udo konnte seinen Heiermann regelmäßig wieder mitnehmen. Denn: Der sog. Arbeitgeber lässt nicht sein Geld arbeiten, sondern seine Beschäftigten.
Mit seiner Kritik an der Herrensprache jeder Art hat Udo an einer Kulturrevolution gearbeitet, die wir dringend brauchen.
Man könnte es auch so zusammenfassen. Bürger sollten Bürgerrechte bekommen, aber nicht alles verstehen, was ihre Ansprüche bedeuten. Wunderbar kommt dies in der Persiflage der „Loreley“ von Heinrich Heine zur Sprache. Die Betriebsräte haben Beteiligungsrechte, die schwer zu verstehen sind:
„Ich weiß nicht, was soll es bedeuten,
dass ich so begriffsstutzig bin.
Ich blättere durch die Seiten
und find‘ darin keinen Sinn……
….Und wie ich verzweifelt hier sitze,
ergreift mich
ein wildes Weh,
es schaudert mich, und ich schwitze
und blicke nicht mehr in die Höh‘.
Ich kann weder lachen noch schlafen,
mich packt ein wilder Wahn,
das haben die §§ des BetrVG mir angetan.“
Gesetze sind Ergebnisse vorausgegangener politischer Auseinandersetzungen und Rechtsprechungen die nachträgliche Siegerehrung gefundener Verhandlungsergebnisse.
Ein Verfassungsrichter hat seine Entscheidung über ein existierendes Mitbestimmungsrecht so kommentiert: Gerichte beantworten keine Fragen, sondern entscheiden in konkreten Streitfällen.
Gerichte bringen oft etwas Licht ins Dunkel, schalten aber nie die Festbeleuchtung ein. Besser hätte selbst Udo Achten es nicht auf den Punkt bringen können.
Gregor Falkenhain
Solingen, Okt. 2023
Herzlichen Dank auch an Anne und Gerd Weis für wertvolle Anregungen.
Gregor Falkenhain Seit Beginn der 70er Jahre in der gewerkschaftlichen Bildungsarbeit tätig. Studium der Sozialarbeit bei seinem „Lieblingsdozenten“ Udo Achten und nach dem Abschluss seit 1977 hauptamtlich bei der Gewerkschaft ÖTV, später Ver.di. Seit Rentenbeginn ehrenamtlicher Referent des DGB Bildungswerkes NRW.